Nachbarschaft
Veröffentlicht am 16.07.2019 von Sigrid Kneist
Ingrid Kühnemann, Bezirksverordnete; Andrea Kühnemann, stellvertretende Verdi-Landesvorsitzende; Melanie Kühnemann-Grunow, Mitglied des Abgeordnetenhauses – alle drei SPD
Wenn die Kühnemann-Frauen beieinander sitzen, dreht sich das Gespräch schnell um die Politik. Nicht wirklich verwunderlich, denn alle drei sind engagierte Sozialdemokratinnen. Die aktive SPD-Geschichte der aus Lichtenrade stammenden Familie beginnt 1980. Da wird Mutter Ingrid Kühnemann Mitglied der traditionsreichen Partei, ein Jahr später folgt Tochter Andrea, damals 18 Jahre alt. Die jüngere Schwester Melanie muss warten, bis sie 16 Jahre alt ist, so sehen es die Parteirichtlinien vor. „Sobald ich durfte, war ich drin“, sagt Melanie Kühnemann-Grunow. Das war 1988.
Für die drei Frauen ist es zwangsläufig, dass sie in der SPD ihre politische Heimat gefunden haben. „Wir stammen aus einer typischen Arbeiterfamilie“, sagt Andrea Kühnemann. Der Vater ist Handwerker und aktiver IG Metaller, die Mutter Friseurin. Während andere Jugendliche sich auch in politischen Dingen in Opposition zu ihren Eltern stellen, gehen die Schwestern diesen Weg mit. “Für uns war die SPD die linke, progressive Partei, die Partei der sozialen Gerechtigkeit”, sagt Melanie Kühnemann-Grunow.
Die Eltern seien fest davon überzeugt gewesen, dass Aufstieg nur durch Bildung möglich sei, sagen beide. Schon in der Schule engagieren sich die Töchter. Beide werden sie zu Schulsprecherinnen auf ihren Gymnasien in Lichtenrade gewählt – erst Andrea Kühnemann auf dem Ulrich von Hutten, später Melanie Kühnemann-Grunow auf dem Georg Büchner. Sie sind die ersten in der Familie, die Abitur machen und studieren.
1985 tritt Ingrid Kühnemann den Weg in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Tempelhof an. “Ich bin für Klaus Wowereit nachgerückt”, sagt sie. Der spätere Regierende Bürgermeister wird damals zum Bezirksstadtrat für Volksbildung gewählt und hat wie Familie Kühnemann seine Wurzeln in Lichtenrade. Die südlichen Wahlkreise des damaligen Bezirks Tempelhof sind seinerzeit stark von der CDU dominiert. “Früher hieß es: Da kannste auch einen schwarzen Besenstiel aufstellen, der wird gewählt”, sagt die 74-Jährige, die bis heute ununterbrochen, also seit 34 Jahren, der BVV angehört und damit wahrscheinlich Berlins dienstälteste BVV-Verordnete ist. Sie verstand und versteht sich immer als Ansprechpartnerin für die Bürger, und sei es nur schnell nebenbei auf der Straße. Ein schnelles Einkaufen auf der Bahnhofstraße – für Nicht-Lichtenrader: die Einkaufsstraße des Stadtteils – ist deswegen kaum möglich. Hier ein freundlicher Gruß, dort eine Frage und zwischendrin noch eine Anregung für die BVV.
In dem Jahr, als ihre Mutter Mitglied in der BVV wird, beginnt Andrea Kühnemann ihre Arbeit als Sozialpädagogin beim Bezirksamt Tempelhof, wird wenig später im Personalrat aktiv. Im Rathaus Tempelhof trifft sie auf den Mann, dessen Platz in der BVV ihre Mutter übernommen hat. Gegenüber dem Stadtrat Klaus Wowereit muss Andrea Kühnemann nun die Interessen der Beschäftigten vertreten. “Wir haben uns oft auseinandergesetzt und gut gefetzt”, sagt Kühnemann. Die Mutter ist derweil im Schulausschuss des Bezirks aktiv.
Von 1996 an ist Andrea Kühnemann Vorsitzende des Personalrats im Bezirks; da hat Wowereit schon den Weg ins Abgeordnetenhaus angetreten. Im Februar 2019 ist sie nun in der Landesbezirksleitung von Verdi aufgestiegen und jetzt stellvertretende Landeschefin der Dienstleistungsgewerkschaft. “Für mich war klar, dass mein Weg in Richtung Gewerkschaft geht”, sagt Andrea Kühnemann. Von ihrer Partei enttäuscht ist sie als Gewerkschafterin, als der rapide Sparkurs des rot-roten Senats unter Wowereit ab 2003 massive Auswirkungen auf die öffentlich Beschäftigten hat und Berlin wegen seiner Alleingänge in der Tarifpolitik aus der Tarifgemeinschaft der Länder fliegt. Aber das Hadern führt bei Kühnemann nicht dazu, der SPD den Rücken zu kehren. Vielmehr hat sie in all den Jahren auch auf Parteiebene verschiedene Ämter; unter anderem als stellvertretende Kreisvorsitzende der SPD. Mit dem vollen Einstieg bei Verdi trennt sie sich von den Aufgaben in der SPD; das sei nun nicht mehr zu schaffen, sagt sie.
Den Vorsitz in der Abteilung Lichtenrade-Marienfelde, wie die SPD-Ortsverbände in Berlin heißen, wird sie deshalb nach den Sommerferien abgeben. Dann ist unter anderem ihre Schwester gefragt. (Mehr dazu bei den Meldungen in der Rubrik „Namen und Neues“.) Melanie Kühnemann-Grunow beginnt 2001 ebenfalls mit der Bezirkspolitik; und sitzt von da an wie ihre Mutter in der BVV. Als dritte Kühnemann in der Politik muss sie ihr eigenes Profil entwickeln, sich von Mutter und der großen Schwester emanzipieren, persönliche Schwerpunkte finden – und sich mit geerbten Konflikten auseinandersetzen. Das Thema Melanie Kühnemanns, die selber Lehrerin ist, wird die Jugendpolitik.
Nach 15 Jahren in der Bezirkspolitik findet sie im Jahr 2016, dass es Zeit ist für einen neuen Schritt. Bei den vorangegangenen Wahlen trat ihre Schwester als Kandidatin fürs Abgeordnetenhaus an, aber ohne Erfolg. Jetzt will Melanie Kühnemann-Grunow es probieren und klärt dies auch mit ihrer Schwester ab. Über die Bezirksliste schafft sie den Sprung ins Landesparlament, wird dort jugend- und queerpolitische Sprecherin der Fraktion. Schon bald steht eine neue Herausforderung bevor. Als ein neuer BER-Untersuchungsausschuss eingerichtet wird, steht der SPD der Vorsitz zu. Eine Frau soll ihn übernehmen. Melanie Kühnemann-Grunow wird gefragt. Sie sagt zu: “Man wächst mit seinen Aufgaben.”
Foto: Kitty Kleist-Heinrich
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Dieser Artikel ist Teil einer Serie über die politischen Familien Tempelhof-Schönebergs.
- Folge 1 erschien am 2. Juli: Angelika Schöttler ist in fünfter Generation Sozialdemokratin.
- Folge 2 (9. Juli): Grün-schwarze Familienbande: Martina Zander-Rade und Christian Zander sitzen für verschiedene Fraktionen in der BVV.