Namen & Neues

Nach rassistischem Angriff mit Pitbull 2018: Verdächtiger erneut freigesprochen

Veröffentlicht am 21.06.2021 von Robert Klages

2018 wurden Gönül Glowinski und ihr Lebenspartner vor ihrem Eiscafé in der Margaretenstraße 27 rassistisch angegriffen und von einem Pitbull gebissen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, die Gerichte haben nie an der Geschichte von Glowinski gezweifelt – der Verdächtige wurde jedoch freigesprochen. Und dass, obwohl Glowinski und ihr Partner sich sicher sind, dass es sich um René G. handelt. Nachdem die Tat öffentlich geworden war, hatte es im Weitlingkiez Solidaritätskundgebungen gegen rechte Gewalt gegeben, Eis essen gegen Nazis. Von einem möglichen Startpunkt für eine neue Kiezbewegung gegen rechte Gewalt sprach Gesine Lötzsch, für die Linke im Bundestag, bei einer der Veranstaltungen 2018. 2020 bekam Glowinski den Preis für Demokratie und Zivilcourage vom Bezirksamt Lichtenberg.

Aber von vorne. Sommerbeginn 2018: Zwei Männer gehen an dem Eiscafé im Weitlingkiez vorbei, sie haben einen Hund dabei. Glowinski stellt gerade die Tische und Stühle rein, Feierabend, sie und ihr Partner haben sich eine Pizza bestellt. Als sie die Männer kommen sieht, dreht sie sich weg, versucht, nicht bemerkt zu werden. Denn sie ist den Beiden schon zwei Mal begegnet und wurde beschimpft, außerdem hat sie Angst vor Hunden. Die Männer bleiben stehen. „Darfst du hier überhaupt sitzen, hast du eine Genehmigung?“ oder so etwas sollen sie zu Glowinski gesagt haben. Sie stuft das als eindeutig rassistisch ein und schildert, dass sie es sich diesmal nicht mehr gefallen lassen wollte. Sie geht den Männern ein paar Schritte hinterher und ruft: „Was soll das, was fällt euch ein?“

Es eskaliert: „Ausländerschlampe“ soll einer der Männer gesagt haben. Weitere Beleidigungen folgen. Der Hund ist zunächst ruhig. Einer der Männer soll Glowinski an den Hals gefasst und zu Boden gedrückt haben, dann soll der Hund auf Kommando gebissen haben. In die Hüfte. Glowinskis Lebenspartner kommt heraus, er hat sich einen kleinen Hocker geschnappt, will seine Freundin verteidigen. Auch er wird gebissen, kann die Männer allerdings abdrängen. Er sei Kickboxer, sagt er vor Gericht. Ein Passant geht dazwischen und schafft es, die Situation aufzulösen. 2018 hatte ich über den Fall hier im Newsletter berichtet.

Wenn Glowinski, Opfer und Nebenklägerin vor Gericht, erneut den Fall schildert, stehen ihr die Tränen in den Augen. Immer und immer wieder müsse sie es erzählen, sagt sie. Und wenn sie sich bei einem Detail vertue oder etwas Anderes sage als 2018, zum Beispiel bei der Farbe des Hundes, ob dieser nun grau oder braun war, dann werde ihr das sofort vorgehalten. Mehr aus Unsicherheit und Verzweiflung sagt sie daher oft, sie wisse es nicht mehr genau, könne sich nicht erinnern. Ebenso ihr Lebenspartner, der ebenfalls am 15. Juni erneut vor dem Landgericht Berlin aussagt.

War es der Mann mit dem Hund oder doch der andere, der sie gewürgt hat? Glowinski widerspricht sich scheinbar zu früheren Aussagen von vor drei Jahren. Sie hat Schlafstörungen seit dem Angriff, ist in therapeutischer Behandlung, immer noch. Der Angriff geht nicht mehr aus ihrem Kopf, obwohl sie alles am liebsten vergessen würde. Sie stört, dass vor Gericht nach den Haaren der Angreifer und deren Tattoos gefragt wird und ihr ihre Aussagen von 2018 vorgehalten werden. Sie kennt den Täter: Er sitzt ihr gegenüber. Sie kann auf ihn zeigen und sagt: Der da, dieser Mann war es. Aber das reicht dem Gericht nicht aus.

Glowinski und ihr Partner erscheinen ohne Anwält*innen. Zur letzten Verhandlung im letzten Jahr, in der René G. bereits freigesprochen worden war, hatten sie noch welche. Doch sie waren nicht zufrieden mit ihrer Arbeit, sie hätten keine Fragen gestellt, nichts unternommen. Glowinski möchte selbst Fragen stellen, als Nebenklägerin ist ihr das erlaubt.

„Wenn man Recht hat, braucht man keinen Anwalt“, begründet Glowinskis Lebenspartner die Entscheidung. Beide zeigen auf den Angeklagte René G. und sind sich sicher, kein Zweifel: Das ist der Mann, der sie angegriffen hat. Sie kennen ihn aus dem Kiez, ihn und seinen Freund, beide vermutlich mit Hang zum Alkoholismus. An diesem 15. Juni sitzt der Angeklagte nur da und sagt nichts. Seine Verteidigerin lässt dies auch mitteilen, daher kann Glowinski keine Fragen an ihn stellen: Er würde nicht antworten.

Auch das Gericht fragt ihn nichts, nicht mal danach, ob er für die Zeit der Tat ein Alibi hat. Eine von vielen Fragen, die wohl für immer offen bleiben werden. Lediglich zu Beginn des Prozesses muss der Angeklagte aufstehen und seine Tattoos zeigen. Das Gericht vergleicht die Aussagen von Glowinski und Partner zu den Tattoos mit den Tattoos von René G heute. Er lässt sich rein optisch nicht eindeutig als Täter identifizieren. Seine Tattoos haben sich seit 2018 verändert, der Hund ist alt geworden und lahmt, stirbt wohl bald.

Die Staatsanwaltschaft hatte den Fall neu aufgerollt und 14 Zeug*innen geladen. Warum dies geschah, ist unklar. Die Zeug*innen sind, zum Einen, eine Gruppe junger Frauen, die den Vorfall an der Eisdiele vom benachbarten Balkon aus beobachtet haben. Doch es ging alles sehr schnell, sie widersprechen sich in ihren Aussagen, können sich nicht mehr genau erinnern. In den Berichten der einen Frau hat der Hund gebellt, bei der anderen nicht. Sie können nicht sagen, ob es sich um den Angeklagten handelt, es war bereits dunkel.

Weitere Zeug*innen sind die Polizist*innen, die René G.s Personalien aufgenommen hatten, sodass er überhaupt vor Gericht erscheinen konnte. Denn Glowinskis Partner hat ihn ein paar Wochen nach der Tat wiedererkannt. Er hat nach ihm gesucht, ist mit seinem Wagen durch den Kiez gefahren, so erzählt er. Die Polizei habe gesagt, er solle sich melden, wenn er den Mann wiedersehe. Und an diesem Tag sah er René G. und seinen Kumpel und den Hund an einer Bushaltestelle stehen. Als sie ihn sahen, seien sie abgehauen. Er verfolgte sie bis zum Haus, in das sie gegangen sind und von dort hämisch vom Balkon geblickt haben sollen. Die verständigten Polizisten gehen ins Haus, der 37-jährige René G. wird vorläufig festgenommen, erkennungsdienstlich behandelt und anschließend wieder aus dem Gewahrsam entlassen.

Die Polizisten, die dies durchgeführt haben, werden vor Gericht nicht als Zeugen vernommen, sondern wieder entlassen. Und das, obwohl der Richter extra einen weiteren Prozesstag, den 16. Juni, anberaumt hatte, um die zwei Polizeibeamten zu befragen. Auch Glowinski hätte Fragen an sie gehabt: Was geschah bei der Vernehmung? Warum wird der Kumpel von G. nicht vor Gericht geladen? Doch am 16. Juni wird niemand mehr befragt – die Staatsanwaltschaft verkündet zu Beginn der Verhandlung, ihre Berufung zurückzuziehen. Es bleibt bei der vorausgegangenen gerichtlichen Entscheidung: René G. kann nicht zweifelsfrei als Täter festgestellt werden.