Kiezgespräch
Veröffentlicht am 28.08.2019 von Madlen Haarbach
Hat das Quartiersmanagement (QM) Schillerpromenade zur Gentrifizierung im Schillerkiez beigetragen? Das werfen (mutmaßlich) Anwohnende dem QM in einem offenen Brief vor, der von den „Noch nicht Verdrängten“ auf dem Blog NK44 veröffentlicht wurde. Auch bei der Feier zum 20-jährigen Jubiläum protestierten Menschen mit einem Plakat, auf dem „20 Jahre Quartiersmanagement – 20 Jahre: Aufwertung, Verdrängung, Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen und Quadratmeterpreise von 20 Euro – Danke dafür!“ zu lesen stand.
Das QM zeige in einer aktuellen Ausstellung seine „erfolgreiche“ Arbeit, schreiben die Aktivist*innen. Und weiter: „Ja, leider war sie erfolgreich im Sinne der Aufwertung des Kiezes für die Mittelschicht und die Vertreibung unerwünschter Armer. Die Zahl der Bewohner hat sich erhöht, es sind zu 90% Akademiker hinzugezogen und arme Migranten aus ostwärts gelegenen Ländern mussten gehen. Die Mieten haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt, Immobilienfirmen bringen immer mehr Häuser in ihren Besitz, immer mehr Wohnungen werden in Eigentumswohnungen umgewandelt und Mieter*innen mit Eigenbedarfsforderungen bedroht.“
Die „Noch nicht Verdrängten“ zitieren aus den „RandNotizen“, einer Stadtteilzeitung, die von der linken Stadtteilgruppe 44 herausgegeben wird. Darin hieß es 2010 in einem Beitrag zur „Task Force Okerstraße“, die 2008 vom QM ins Leben gerufen wurde: Die Taskforce „ist, laut dem QM, eine Reaktion auf die gravierenden Probleme in unserem Kiez. Genauer gesagt, soll es die Antwort auf die „Problemhäuser“, die „Problemfamilien“ und die „Trinkerproblematik“ im Kiez sein (alle drei Begriffe tauchen so im Strategiekonzept des QM auf). Was vom QM als gutgemeintes, soziales Projekt vermarktet wird, entpuppt sich jedoch bei genauerem Hinsehen als ein stigmatisierendes und diskriminierendes Vorgehen, dass konsequenterweise zur Aufwertung des Kiezes und dem Austausch der MieterInnenstruktur führen soll.“ (Ausgabe hier als PDF)
Die Romafamilien, die früher etwa in der Okerstraße 43 gewohnt hätten, seien weg, führen die „Noch nicht Verdrängten“ als Beispiel an. Das Haus sei mehrfach verkauft worden, saniert und die Mieten hätten sich mittlerweile verdreifacht. Heutiger Besitzer ist die Firman Properties S.A.R.L. – die kürzlich ein Räumungsverfahren gegen das Kulturcafé „La Bettolab“ verlor, das sich in dem Haus befindet. Hinter der Firman steckt laut Tagesspiegel-Recherchen der Großeigentümer Pears Global. Parallel befindet sich Firman aktuell in einem Räumungsprozess gegen die Kollektivkneipe Syndikat.
Das QM sei zwar nicht der alleinige Grund für die Mietsteigerungen – habe allerdings die fortschreitende Gentrifizierung mit „symbolischen Aufwertungen“ unterstützt, so die Aktivist*innen. „Quartiersmanagement ist keine Lösung, sondern Teil des Problems“, schlussfolgern sie.
Gunnar Zerowsky, seit 2011 Quartiersmanager im Schillerkiez (hier im NL-Interview), verweist auf Anfrage auf die bereits erwähnte Ausstellung: „Wer sich zur Arbeit des QM ein Bild machen möchte, kann dies diese Woche in der Ausstellung „20 Jahre QM Schillerpromenade“ in der Info-Kapelle auf St. Jacobi in der Hermannstraße 99 zwischen 12 und 18 Uhr tun oder unsere Webseite oder Facebookseite besuchen“, sagt er.
Der zuständige Stadtentwicklungsstadtrat Jochen Biedermann (Grüne) wird konkreter: „Gentrifizierung passiert unabhängig davon, ob ein QM-Gebiet besteht oder nicht und ich glaube, die Autor*innen wissen das eigentlich auch, wenn sie auf die Schließung des Flughafens und die Entwicklung des Wohnungsmarktes zu sprechen kommen. Genauso wenig wie auf das QM möchte ich aber beispielsweise auf das offene Tempelhofer Feld verzichten“, sagt er.
Er gibt den Aktivist*innen allerdings auch in zwei Punkten Recht: „Verdrängung im Schillerkiez ist ein enormes Problem und die Bezirkspolitik hat darauf zu spät reagiert. Sicher war rückblickend nicht jede Aktivität des QM glücklich. Wenn die Autor*innen aber zehn Jahre zurück schauen müssen, um konkrete Kritik zu üben, zeigt das auch, wie viel in den letzten zehn Jahren richtig gemacht worden ist.“ So seien Gelder aus dem QM etwa in den Nachbarschaftstreff in der Mahlower Straße, Spielplätze und Schulhöfe sowie die Infokapelle geflossen. Außerdem wurde die Jugendarbeit gestärkt und auch die Stadtteilmütter gehen auf ein Pilotprojekt im QM-Gebiet zurück. „Von diesen ganzen Maßnahmen profitieren alle Anwohner*innen – ganz besonders Kinder und Jugendliche. Hier zu investieren war und ist richtig“, sagt Biedermann.