Kiezgespräch

Veröffentlicht am 03.09.2020 von Christian Hönicke

Wilhelmsruher wollen gegen stinkendes Gewerbegebiet klagen. Der Streit um die dicke Luft in Wilhelmsruh eskaliert – nun kündigen  Anwohner Klagen gegen die mutmaßlich gesundheitsschädigenden Rauchwolken an. Hintergrund ist der geplatzte Bau des „Wilhelmsruher Tors“ mit 400 Wohnungen am S-Bahnhof. Den hatten die Behörden wegen der Geruchsbelastungen durch das angrenzende Industriegebiet Flottenstraße auf der Reinickendorfer Seite untersagt. Für viele Wilhelmsruher war das ein Hoffnungszeichen. Sie versprachen sich davon, dass das Thema nun endlich politisch angepackt und der Gestank nun endlich auch aus den schon existierenden Wohnungen verschwinden würde.

Doch nun sie fürchten sie das Gegenteil.  „Statt die Ursache des Problems für derzeitige und zukünftig in Wilhelmsruh lebende Menschen zu beseitigen, gießt der Bezirksstadtrat Kuhn Öl ins Feuer“, kritisiert Arne Baron, der auch Teil der Initiative „Wilhelmsruh gibt keine Ruh“ ist. Der grüne Baustadtrat Vollrad Kuhn gehe „den einfachen Weg“, so Baron: „Er schreibt einfach Gewerbe statt Wohnungen aus. Gewerbe, dass sogar noch ‚Synergien‘ mit dem ansässigen Industriegebiet erzeugen soll.“ Dieses Gewerbe möge selbst vielleicht immissionsfrei sein, „unterstützt aber die Industrie in der Flottenstraße und deren Immissionen. Zudem bringt es zusätzliche Schwerlastverkehre durch die Wohnsiedlungen.“

Im bisherigen Gewerbegebiet sitzen viele Firmen, die Abgase absondern und deshalb nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungspflichtig sind – darunter die Firma BAGR, einer der größten Aluminiumrecycler Europas, und die landeseigene Restmüllanlage MPS. Der Rauch zieht häufig nach Osten in den Pankower Ortsteil Wilhelmsruh.

Dass für das Gebiet beiderseits von Kopenhagener bzw. Hauptstraße auf Wilhelmsruher Seite nun ebenfalls ein Gewerbestandort anstelle der ursprünglich geplanten Wohnungen geprüft wird, bestätigt Kuhn. Zwar würden besonders „mit anliegender Wohnbebauung verträglichen gewerblichen Nutzungen“ untersucht, allerdings sollen beim potenziellen Industriestandort auch „mögliche Synergien zu bestehenden Gewerbebetrieben im Umfeld“ berücksichtigt werden. Kuhn verweist dabei auf die „gute verkehrliche Anbindung“. Die Prüfung für das neue Gewerbegebiet auf Wilhelmsruher Seite soll im September starten, der „Projektabschluss ist für Ende Februar 2021 vorgesehen“, so Kuhn.

Die Anwohner sehen die Expansionspläne für dieses nach ihrer Meinung stadtunverträgliche Gewerbegebiet höchst kritisch. Damit würden die Konflikte noch dichter an die bestehenden Wohngebiete herantragen. Dabei seien Kuhn und das Bezirksamt doch „in der Pflicht, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden“, kritisiert Baron.

Die rechtlich zulässigen Immissionswerte würden an den bereits bestehenden Wohnungen und der angrenzenden Kita „Pankebären“ um mehr als das Doppelte überschritten. Das Gutachten beschreibe klare Handlungsempfehlungen wie höhere Schornsteine oder Rauchfilter, die sowohl den Bau der Wohnungen als auch den Schutz der heutigen Wilhelmsruher ermöglichen würden.

Das Bezirksamt erklärt zwar, mit dem neuen Gebiet wolle man auch „einen Puffer zwischen dem Gewerbegebiet in Reinickendorf und den Wohngebieten in Wilhelmsruh zu schaffen, um künftige Nutzungskonflikte zu entschärfen“. Dass durch weiteres Gewerbe jedoch insbesondere die Geruchsbelastungen verringert werden, halten die Anwohner für Augenwischerei. Als Reaktion kündigt Baron nun an, sich auf den Rechtsweg vorzubereiten: „Als nächste Schritte könnte ich mir vorstellen, als Anwohner einen Antrag auf Reduzierung der Gestanksbelästigung zu stellen und bei Ablehnung entsprechend Rechtsbehelf einlegen.“ – Text: Christian Hönicke

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