Nachbarschaft

Veröffentlicht am 09.04.2019 von André Görke

Ein Frühlingsnachmittag am Havelufer. Auf der Postbrache treffen wir Agilolf Bachner, 43. Die Ecke zwischen Fluss, Bahnhof und Rathaus ist Spandaus legendärste Baustelle. 20 Jahre verrottete hier die olle Postzentrale in zentraler Lage vor sich hin und nichts geschah. Dann kamen Bachner – Sneaker, Jeans, Hemd, braun gebrannt („war auf den Philippinen“) – und Kollegen und legten los. Es geht um 100 Mio Euro, einen 80-Meter-Turm, Hotels, Cafés, neues Leben am Fluss. Öde Brache war’s ja lange genug. 

Herr Bachner, wir stehen hier in der Pakethalle auf der Brache, inmitten von Streetart-Künstlern und Skateboard. Klare These: Sie wollen ja nur das coole Image abhaben.
„Nö. Mit einem akkuraten Rasen machen Sie mich nicht glücklich. Ich finde das ziemlich geil hier. Meine Skateboard-Zeit ist vorbei, aber die Kunst finde ich faszinierend. Schauen Sie sich hier um: internationale Künstler überall. Und außerdem: Wir müssen anderen Raum lassen, kreativ zu sein. Deshalb zahlen die Künstler hier nichts. Wer einen Rummel auf der Brache veranstaltet, zahlt an uns eine kleine Miete. Damit können wir wiederum dem Verein Neue Urbane Welten, also Andrea und Alex, in der Pakethalle helfen. Sie brauchen Farbe, sie brauchen Geld, um zum Beispiel Projekte wie Urban Gardening anzuschieben.“

Bachner ist jetzt nicht so der typische Investor. Er hat bei Adidas gearbeitet, IT, Werbebranche, viel mit Architektur und Gastronomie gemacht. Er ist einer der Chefs der Spandauer Ufer GmbH & Co KG, wie das Bauprojekt offiziell heißt. Wir spazieren über die Brache und blicken auf die Havel. Links: keine Cafés, rechts: keine Cafés. Absurd, oder?

„Wissen Sie, ich laufe viel herum. Mein Auto habe ich vor 15 Jahren abgeschafft – ich habe eh nur Parkplätze gesucht. Ich bin hier in Spandau viel am Ufer entlanggelaufen und habe unglaublich schöne Wohngegenden entdeckt. An der Scharfen Lanke ist das ein bisschen wie in Italien. Aber an anderen Stellen hat sich Spandau vom Wasser wegdreht. Doch das ändert sich, es entstehen viele Wohnungen an der Havel, das ist der Wahnsinn. Schauen Sie sich hier am Ufer mal um: Auf der anderen Havel-Seite entsteht in ein paar Jahren der neue Spazierweg, das Restaurantschiff soll hierher kommen, Büros werden in der Geschützgießerei geplant, vorne an der Mündung. Büros in Spandau – das hätte doch vor fünf Jahren keiner geglaubt, oder? Und wir werden jetzt der Anstoß sein für die Verbesserung der Wasserlage in der Altstadt, dann kommt eins nach dem anderen. Die Lage ist geil, auch aus Verkehrssicht. Dort drüben der BVG-Busbahnhof, da der ICE-Bahnhof, ein paar Minuten sind es nur bis zum Zoo. Die Klosterstraße vor der Tür … hier ist so viel Leben. Wir müssen die Leute nur zu uns ans Ufer locken.“

Bleiben die Unterführungen so dunkel? „Da möchte ich differenzieren. An der Havel erzeugt die Bahnbrücke einen Ort, der vielfältige Nutzungen anregen kann: Darunter ist Platz für Fahrräder, vielleicht für Spielflächen. Mir gefällt der Ort – hier verschmelzen der Funktionsbau, der Fluss, die Natur, ein gewisser Weitblick entsteht. Die Unterführung am Stabholzgarten wiederum lässt sich mit Licht und Farbe aufhellen, wird aber immer ein Tunnel bleiben. Und an der Klosterstraße gibt es seit Jahren genug Konzepte und Ideen, die bestimmt gute Effekte erzielen könnten. Manchmal muss man einfach starten.“

Wie sollen die Leute vom Bahnhof zu Ihnen kommen? „Gut wäre eine Ampel von uns direkt über die Klosterstraße. Nur so verlaufen die Verkehrsströme der Fußgänger – mal gucken, was am Ende dabei rauskommt. Die Politik will das ja auch: Die Bürger sollen zum Ufer, zum Fluss, also muss ihnen der Weg erleichtert werden. Der Autoverkehr und seine neun Fahrspuren hätten das Nachsehen, aber das soll die Politik entscheiden.“

Wie profitiert der Bezirk Spandau? „Wo Büros sind, ziehen Menschen hin, werden Wohnungen gebraucht, kommt Kaufkraft, kommt neue Klientel. Diesen Auftrag hat die Politik uns mitgegeben: Spandau aufwerten. Aber ich kenne diese skeptische Haltung, dieser etwas abgehobene Blick auf die Vorstadt: Oh, ihr baut in Spandau?! Das ist bei mir in Stuttgart so ähnlich. Da gibt es die Cannstätter und die Stuttgarter und in der Mitte den Neckar. Ich bin hier in Spandau der Neue und kann ein bisschen naiv sein. Ich habe keine Hemmungen, nach Spandau zu gehen. Ich kenne die Klischees aus Berlin, aber sie sind mir nicht wichtig, würde mir doch eh keiner glauben. Wir machen jetzt ernst. Im Herbst machen wir das Grundstück leer, reißen die Pakethalle ab, dann geht es los im Frühjahr 2020. 36 Monate bauen wir.“

Haben Sie Mieter? „Ja. Drei Restaurants entstehen am Wasser, eines an der Klosterstraße. Ein Mietvertrag ist unterzeichnet, über die anderen verhandeln wir gerade. Die beiden Hotelbetreiber mit 400 Betten sind auch schon fix – aber die Namen kann ich noch nicht verraten. Bei den Büros im 80-Meter-Turm lassen wir uns Zeit. Unten entstehen fünf, sechs Läden. Zum Beispiel ein Sportgeschäft – vielleicht als Shop, vielleicht als Studio.“

Wie viele Etagen hat eigentlich das Bürohaus? „21.“

Ein Wohnungsstandort wird die Ecke nicht. Nebenan rumpeln Tag und Nacht schwere Güterzüge vorbei – zu laut, um das Fenster zu öffnen. Knapp 80 Wohnungen werden auf der Postbrache mit Blick auf die Havel gebaut, nahe der Dischingerbrücke, weit weg von den sieben Gleisen. 

Schon mal ins Netz geschaut? Da wird über den Entwurf geschimpft. „Oh, wirklich? Die Resonanz kriege ich nicht mit. Ich bin nicht so viel bei Facebook oder Twitter oder Instagram. Mich würde es aber treffen, wenn am Ende keiner am Fluss sitzt, im Gras liegt und Gitarre spielt. Wenn das Viertel am Ende leer ist, hätten wir den falschen Job gemacht.“

Und was passiert mit dem Postbrunnen? „Ich bin mit der Künstlerin Ursula Sax im April verabredet. Ich will erst einmal mit ihr sprechen – das gebührt der Anstand.“