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Maue Bilanz des Bezirks in Sachen "sichere Schulwege": Von 16 BVV-Beschlüssen blieben 7 ohne Erfolg und 7 unerledigt

Veröffentlicht am 28.11.2019 von Boris Buchholz

Als das Bezirksamt und Zehlendorfer Gewerbetreibende Anfang November verkündeten, dass Zehlendorfer Erstklässler gesponsorte Warnwesten erhalten würden, gab es Protest bei Twitter (ich berichtete, hier zum Nachlesen). Der Hauptvorwurf: Erst sorge der Bezirk nicht ausreichend dafür, dass die Kinder sicher zur Schule kämen, und dann werde der Schwarze Verkehrs-Peter den Schülern zugesteckt und mit Warnwesten Symbolpolitik gemacht.

Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) kann die Kritik nicht nachvollziehen. „Die ‚Warnwesten-Symbol-Politik‘ gibt es seit 1966 – vermutlich ununterbrochen und auch aus gutem Grund“, erklärt sie. „Ich finde es sinnvoll, dass unsere Schulanfänger jährlich und kostenlos mit Sicherheitsmaterialien ausgestattet werden“, natürlich stehe es den Eltern frei, ob sie dieses Angebot nutzen. Warnwesten seien nur „ein kleiner Teil eines gesamtheitlichen Konzeptes, die Schulkinder vor dem immer stärker werdenden Verkehr zu schützen“. Auch sie sehe Schulkinder und Radfahrer mit Warnwesten besser als Menschen ohne Westen. Zu dem „gesamtheitlichen Konzept“ gehören auch die Lauftreffs und die Aktion Tausendfüßler – diese Angebote seien von Amt, Schulen und Eltern nicht ins Leben gerufen worden, „um das Fehlverhalten der Autofahrer zu tolerieren“, sondern unter anderem damit die Kinder besser wahrgenommen werden und sie das richtige Verhalten im Straßenverkehr üben.

Einen weiteren erhofften Effekt nennt Baustadträtin Maren Schellenberg (Grüne) im Gespräch mit dem Tagesspiegel: Je mehr Kinder morgens zur Schule und am Nachmittag zurück laufen, desto weniger „Elterntaxis“ würden die Straßen vor den Schulen verstopfen und für Unsicherheit im Straßenverkehr sorgen. Bei der Frage, welche konkreten verkehrslenkenden und baulichen Maßnahmen das Bezirksamt in jüngerer Zeit realisiert habe, muss die Stadträtin kurz nachdenken. Dann nennt sie den neuen Zebrastreifen über die Onkel-Tom-Straße in Höhe des Siebenendenweges – sowohl der Weg zur Zinnowwald-Grundschule als auch zu den Sportplätzen sei sicherer geworden, der Übergang werde „viel genutzt“.

Auch den Straßenzug Gutzmann- und Leo-Baeck-Straße nennt die Stadträtin. Die Kreuzung mit der Walterhöferstraße wird aktuell erneuert, Bordsteine werden abgesenkt – sie sollen für Rollstuhlfahrer, Rollatornutzer und Kinderwagenschieber einfacher berollbar werden. Autos allerdings sollen mit Pollern vom Gehweg ferngehalten werden. Das ist dort deshalb wichtig, weil Anwohner seit Jahren von Wild-West-Gebaren vieler Autofahrer berichten – immer wieder wird in der engen Straße, die Schülerinnen und Schüler der Süd-Grundschule, der Emil-Molt-Schule und der Schweizerhof-Grundschule als Schulweg nutzen, auf den Gehweg ausgewichen. Im September forderten Anwohner, dass die Straße zur „gegenläufigen Einbahnstraße“ gemacht werden müsse (meinen Bericht finden Sie hier); insgesamt stellten sie vier Forderungen auf und drohten dem Amt mit Klage, sollte sich nichts außer den Autos bewegen. „Ob es dort wirklich so viel schlimmer ist als an anderen Straßen, weiß ich nicht“, sagt Maren Schellenberg. Das Amt „plant daher eine umfassende Verkehrszählung durchzuführen“; gerade der LKW-Verkehr solle untersucht werden.

Zwei Beispiele – doch die Bilanz der Bezirkspolitik, real für sicherere Schulwege zu sorgen, fällt mehr als mau aus. Seit 2007 hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) mindestens 16 Anträge beschlossen, die für mehr Sicherheit für Schulkinder sorgen sollten und den Begriff „Schulweg“ im Betreff trugen. Sieben Beschlüsse davon wurden von Landesbehörden, allen voran die Verkehrslenkung Berlin, abgelehnt. Zu weiteren sieben Beschlüssen hat das Amt bisher noch keinen Erledigungs-Bericht, im BVV-Jargon sind das Vorlagen zur Kenntnisnahme, vorgelegt. Dabei stammen die Parlamentsentscheidungen aus den Jahren 2012 (Piraten: „Schulweg zur Beethoven-Schule sichern“), 2016, 2017 und 2018 (zum Beispiel CDU: „Schulwegsicherung Friedrich-Drake-Grundschule“). Das Bezirksamt hat nach einem Beschluss neun Monate Zeit, Vollzug oder Mißerfolg zu melden – oder um Fristverlängerung zu bitten. „Wir sind dabei zu prüfen, ob die offenen Vorgänge durch den Zuständigkeitswechsel untergegangen sind“, versucht sich die Baustadträtin an einer Erklärung. Ende 2018 wechselte die Untere Straßenverkehrsbehörde vom Ressort des SPD-Stadtrats Michael Karnetzki zu Maren Schellenberg.

Einen – im wahrsten Sinne wegweisenden – Antrag haben die Grünen wegen andauernder Nicht-Erledigung bereits zweimal gestellt: Im März 2016 wurde in der BVV beschlossen, eine „Steuerungsgruppe für sichere Schulwege“ einzurichten; im Oktober 2017 machten die Grünen wieder Druck. Baustadtadträtin Schellenberg berichtet, dass die Arbeitsgruppe 2017 ihre Arbeit aufgenommen und eine Umfrage an fünf Grundschulen begonnen hätte. Darauf folgte aber – nichts. „Es ist im Augenblick etwas eingeschlafen“, räumt Maren Schellenberg ein. Aktuell denke sie über einen Re-Launch der Steuerungsgruppe und über mehr Eltern- und Schulbeteiligung nach. Bisher habe die eingeschlafene Gruppe aus Vertretern der verschiedenen Ämter bestanden.

Selbst da, wo der Bezirk bei der Genehmigungsbehörde VLB Erfolg hatte, passierte nichts. 2013 meldete der damalig zuständige Stadtrat Michael Karnetzki freie Bahn: Bei einem Ortstermin sei von allen Seiten „verbindlich beschlossen [worden], einen Fußgängerüberweg (FGÜ) über die Baseler Straße (südlich des Knotenpunktes Altdorfer Straße) straßenverkehrsbehördlich anzuordnen“. Der nächste Satz in der Vorlage zur Kenntnisnahme vom 4. Juni 2013 liest sich aus heutiger Satz prophetisch: „Für die letztgenannte Maßnahme bedarf es eines mehrmonatigen Planungsvorlaufes, so dass bis zur Umsetzung des FGÜ noch etwas Zeit vergehen wird.“ Einen Übergang gibt es bis heute nicht.

Es kann nur besser werden. Nach Auskunft des Büros der Baustadträtin sind folgende Baumaßnahmen genehmigt und harren ihrer Umsetzung:

  • Siemens- Ecke Nicolaistraße wird eine Ampel gebaut.
  • Zebrastreifen entstehen an der Lloyd-G.-Wells-Straße (Höhe Nr. 33),
  • an der Ecke Curtiusstraße / Baseler Straße (hier erhalten die Gehwege „Nasen“ und erleichtern den Übergang; Baubeginn im Frühjahr 2020),
  • an der Grunewaldstraße in Höhe der Kant-Grundschule und an der
  • Gallwitzallee 123-143 am St. Marien-Krankenhaus.

Zurück zu den Warnwesten. Anfang November wurde noch ein Sponsor für die Warnwesten der Steglitzer Erstklässler gesucht. Mit Erfolg? „Leider nein“, erwiderte die Bezirksbürgermeisterin, „wir bleiben aber weiter an dem Thema dran“. – Text: Boris Buchholz

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