Namen & Neues
Besuch in der 7b: "Nicht nur die Erwachsenen sollen entscheiden"
Veröffentlicht am 20.05.2021 von Boris Buchholz
Angeregt haben die Diskussion die Schülerinnen und Schüler der 7b der Fichtenberg-Oberschule: Soll es in Steglitz-Zehlendorf ähnlich wie in den Nachbarbezirken ein Kinder- und Jugendparlament (KJP) geben? Ich hatte vor zwei Wochen über die Initiative berichtet. In ein solches Parlament würde jede Schule des Bezirks zwei Vertreter:innen entsenden, Anträge würden in Ausschüssen beraten und im Plenum abgestimmt werden. Anliegen, die mit Mehrheit angenommen wurden, würden an die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) weitergereicht werden – die Vertretung der Erwachsenen müsste zu den Anträgen der Kinder und Jugendlichen Stellung beziehen. In Charlottenburg-Wilmersdorf gibt es ein solches Kinder- und Jugendparlament schon seit Jahren, 90 Prozent der KJP-Anträge werden dort auch von der BVV verabschiedet.
Die 12- bis 13-Jährigen meinen ganz klar: Ja, so ein Gremium braucht es auch in Steglitz-Zehlendorf! Sie machten sich viele Gedanken, diskutierten im Fach Politische Bildung den Sinn, klügelten einen Vorschlag für eine Geschäftsordnung aus – und dann sandten sie ihren Vorschlag an die Fraktionen in der BVV. Die Linken griffen das Anliegen auf und brachten einen Antrag ein: Aktuell wird die Drucksache „Ein Kinder- und Jugendparlament für Steglitz-Zehlendorf“ im Jugendhilfeausschuss beraten. Auch die SPD-Fraktion will sich mit den Schülern treffen.
Frage an die Initiator:innen: Warum ist ein Kinder– und Jugendparlament so wichtig? „Die Idee ist, dass Kinder mehr mitbestimmen können und nicht nur Erwachsene für sie entscheiden“, sagt Emilio beim virtuellen Besuch des Tagesspiegels in der 7b – die Hälfte der Schüler:innen saß im Klassenraum, die andere Hälfte vor ihren Bildschirmen zu Hause. „Ich hoffe, dass wir dadurch mehr Rechte erhalten, selbst unsere Stadt und unseren Bezirk einzurichten“, ergänzt Julian. Zwar können die Kinder und Jugendlichen schon an den Schulen einiges mitbestimmen, meint Philip, „aber wir können zum Beispiel nicht entscheiden, dass ein Spielplatz gebaut werden soll“. Er sagt: „Wir wollen, dass Kinder mehr entscheiden können, damit die Kinder den Bezirk Steglitz-Zehlendorf noch besser finden, als er schon ist.“
„In der Schülervertretung wird eher darüber gesprochen, was innerhab der Schule passieren soll“, meldet sich Paula zu Wort: „Im Kinder- und Jugendparlament soll darüber diskutiert werden, was im ganzen Bezirk passieren soll.“ Sich für den ganzen Bezirk zu engagieren, sei doch nichts Negatives, fügt Philip an.
Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) hatte in einem Brief an die Klasse Stellung bezogen: Aus ihrer Sicht sei ein Kinder- und Jugendparlament nicht nötig, es bestünden schon andere Beteiligungsformate wie zum Beispiel das Forum „Jugend spricht mit“. Dieses Forum sei zwar schon gut, entgegnet Julian, „aber die Kinder haben ja dort kein Mitbestimmungsrecht, sondern können nur Vorschläge darlegen“. Die Politiker könnten zwar die Anregungen aufgreifen, müssten es aber nicht. Durch das KJP dagegen würden die Kinder und Jugendlichen nicht nur Vorschläge machen, sondern auch „Umsetzungskraft haben“. Beim Forum „Jugend spricht mit“ gehe es mehr um einen Austausch, ergänzt Elisa, „uns geht es aber darum, selber entscheiden zu können“. Mit einem eigenem Parlament hätten die Kinder eine „größere Stimme“.
Annabell ist noch eine andere Sache wichtig: Wenn Anträge des Kinder- und Jugendparlaments von der Erwachsenen-Politik abgelehnt würden, „dann müssen sie eine Stellungnahme mit Begründung dazu schreiben“. Die Schülerinnen und Schülern wollen als Gesprächspartner ernst genommen werden – sie wünschen sich eine Diskussion auf Augenhöhe.
Ein eigenes Budget – auch dieser Vorschlag unterscheidet das KJP vom Jugend-Forum. Die 7b möchte, dass die Bezirksvertretung der Kinder und Jugendlichen über ein jährliches Budget von 15.000 Euro verfügen kann. „Wenn man etwas ganz wichtig findet, kann man das dann umsetzen, obwohl man vielleicht von der Regierung keine Unterstützung bekommt“, erläutert Paula das Konzept. Was man mit dem Geld anfangen könnte? Ein eigenes Freizeitzentrum, neue Spielplätze, Klimaaktivitäten wie Müll-Sammel-Aktionen, ein Stück Regenwald kaufen – die 7b hat viele Ideen.
„Wir haben sehr viel Unterstützung bekommen“, berichtet Annabell. Die Schülervertretung, die Lehrer:innen, die Gesamtelternvertretung und die Schulkonferenz stehen hinter dem Vorschlag, eine bezirksweite Kinder- und Jugendvertretung zu etablieren. „Wir könnten versuchen, jetzt andere Schulen einzubinden“, sagt sie. „Wir haben auch schon mit der Linksfraktion gesprochen“, ergänzt Philip, das sei „relativ positiv“ gewesen. Er sei zuversichtlich: Es könne ja nur besser, „nicht schlechter werden“.
Zuückhaltung in der BVV. Doch bei der ersten Beratung zum Thema Kinder- und Jugendparlament war Mitte April von manchem Bezirksverordneten noch deutliche Skepsis zu hören (hier zum Nachlesen). Warum das so ist, erklären sich die jungen Leute so:
- „Weil Kinder ja andere Interessen vertreten als Erwachsene und das könnte dann vielleicht deren Ideen für die weitere Zukunft zerstören oder sie müssten dann etwas noch einmal verändern, und das wollen sie nicht so.“
- „Ich denke, dass die Frage ist, wie wir mit dem Geld umgehen.“
- „Erstens sind es eben Erwachsene, die haben andere Interessen als wir. Zweitens könnten sie denken, dass wir mit dem Geld nicht richtig umgehen können. Und drittens denken sie vielleicht, dass sie für die Kinder mitentscheiden können.“
- „Vielleicht haben die Erwachsenen in einer gewissen Weise Angst, dass die Kinder vom Kopf her noch nicht so ausgebildet sind, dass sie mitbestimmen können, was gemacht werden soll und was nicht.“
Die Diskussion geht weiter. Am kommenden Dienstag, 25. Mai, stellt eine Delegation der 7b ihr Vorhaben im Jugendhilfeausschuss vor. Im Gespräch machten die Schülerinnen und Schüler mehrfach deutlich, dass die Geschäftsordnung, die sie für das Kinder- und Jugendparlament entworfen haben, nur eine Diskussionsgrundlage sei. Über das „wie“ müsse gesprochen werden. Doch daran, dass auch Kinder und Jugendliche ihren Bezirk gestalten können sollten, zweifeln sie nicht. Ein Kinder- und Jugendparlament? Die 7b findet die Idee nach wie vor gut.
Und nicht nur die Schüler: Die 7b erhält den Engagementpreis des Berliner Landesverbands der Deutschen Vereinigung für politische Bildung. Das teilte Stephan Lang, der Lehrer für Politische Bildung der Klasse, dem Tagesspiegel am Mittwochabend mit. Die Preisverleihung wird am 14. Juni als Online-Feier stattfinden, die Schirmherrschaft hat Schul- und Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) übernommen. Herzlichen Glückwunsch, 7b!
- Wie sehen das andere Kinder und Jugendliche? Wie ist Eure Meinung? Schreibt mir unter boris.buchholz@tagesspiegel.de