Namen & Neues
"Sollen die auch noch in den BVG-Bus?": Das große Spandau-Interview
Veröffentlicht am 08.01.2019 von André Görke
Rathaus Spandau, Treppe hoch, 2. Stock: Am Ende des Flurs befindet sich das Büro von Stadtrat Frank Bewig, CDU. Der Ausblick: Havel, Uferpromenade, davor ein flaches Parkhaus, das absurd viel Platz wegnimmt mitten im Zentrum (Foto). 2019 wird für Spandau ein gewaltiges Baustellenjahr. Überall entstehen Wohnungen, überall bestehen Chancen – überall gibt es aber auch Sorgen in den Kiezen. Kann der Verkehr mithalten? Hier unser großes Interview für den Spandau-Newsletter. In voller Länge zum Auftakt des Jahres 2019.
Herr Bewig, beginnen wir mal soft: Neues Jahr, neue Träume …
… ich bin nicht so der Träumer …
… spinnen Sie ruhig mal rum. Wie sieht der neue Siemens-Campus aus, den Siemens für 600 Millionen Euro bauen will?
Der Campus wird Spandau einen Schub geben. Spandau wird nicht hip, aber mutig und selbstbewusster. 200.000 Quadratmeter Wohnfläche sind geplant, das sind grob 2000 Wohnungen. Das wird kein Luxus-Viertel für Siemens-Manager, die mal eben reinfliegen, sondern ein Viertel für junge Leute, mit Kita und Grünflächen. Die müssen nicht mal bei Siemens arbeiten. Der Campus – hier Start-ups, dort Familien – soll offen sein und kein abgeriegeltes Industriegebiet wie jetzt an der Nonnendammallee. Siemens wird diese Wohnungen nicht bauen, das machen aller Voraussicht nach die landeseigenen Wohnungsgesellschaften. Die Mischung wird also stimmen. Hoffentlich kommen junge Leute!
Der Siemens-Campus …
… Stop, warten Sie bitte: Vergessen Sie nicht die Insel Gartenfeld! Die liegt nebenan, da geht es um 3700 Wohnungen – und über 1 Milliarde Euro. Das soll den Siemens-Campus nicht kleinreden, aber es muss unbedingt zusammengedacht werden. Das zeigt erst die ganze Dimension. Das haben bislang viel zu wenige Leute auf dem Radar. Wir müssen den Siemens-Campus, die Insel Gartenfeld und die Wasserstadt zusammendenken – und die Siemensbahn ist das verbindende Element. Dort werden 15.000 Wohnungen, 10.000 davon durch öffentliche Wohnungsbaugesellschaften oder mit einer Mietpreisbindung gebaut. Insgesamt werden viele bezahlbare Wohnungen entstehen. Heißt: Da leben bald zusätzlich 30.000 Menschen, und die müssen irgendwie in die Stadt kommen … und vergessen Sie nicht die, die dort schon wohnen! Die können wir nicht alle zur nächsten BVG-Bushaltestelle schicken.
Dann machen Sie was. Auf Ihrer Bürotür steht: Stadtrat für Bauen und Verkehr.
Aber nicht für S-Bahnstrecken. Ich habe weder die Zuständigkeit, noch das Geld dafür. Ich kann nur drängeln – es ist ein Großprojekt des Senats. Und dort höre ich immer wieder: Wir haben Geld ohne Ende. Na dann los, bitte, es geht um einen komplett neuen Ortsteil für Berlin.
Verkehrssenatorin Regine Günther …
… hat dieses Problem auch nur geerbt, da wäre mir scharfe Kritik zu einfach. Hätte der Senator für Verkehr und Stadtentwicklung vor fünf Jahren an Spandau gedacht …
… Sie meinen den Regierenden Bürgermeister Michael Müller …
… dann würden wir nicht darüber reden, während die ersten Menschen da bald einziehen. Aber es muss jetzt gehandelt werden. Katrin Lompscher …
… die Stadtentwicklungssenatorin der Linken …
… hat die Dringlichkeit zumindest bei den Verkehrsfragen erkannt, worüber ich mich sehr gefreut habe. Sie hat eine Lenkungsgruppe zum Verkehrsausbau gegründet, auch mit Bezirksleuten wie mir. Wir wollen das beschleunigen. Wir sind mit dem Wohnungsbau im Spandauer Norden am Limit: Im Carossa-Quartier planen wir 2019 noch mal 1200 Wohnungen, dann war’s das aber so langsam auch. Wir können nicht noch mehr bauen, wenn wir nicht endlich einen leistungsstarken Nahverkehr haben.
Welche Hoffnung setzen Sie in Staatssekretär Jens-Holger Kirchner, der sich – wenn er fit wird – um die neue Siemensstadt kümmern soll?
Kirchner hat sich in der Vergangenheit wiederholt als ausgewiesener und pragmatischer Verkehrsexperte herausgestellt. Insofern setze ich größte Hoffnungen in ihn und würde mir wünschen, dass er auch der Siemensstadt und der rund um den geplanten Innovationscampus entstehenden Verkehrsinfrastruktur seinen Stempel aufdrückt.
2035 könnte die Straßenbahn nach Spandau rollen.
Glauben Sie das?
Steht so im Nahverkehrsplan des Senats.
In 15 Jahren kann ich auch den Bau einer U-Bahnlinie vorantreiben. Die ist teurer, aber leistungsstärker. Aber wir drehen uns im Kreis: Wir brauchen 2019 eine Entscheidung.
Welche Rolle spielt der Fahrradverkehr?
Ist wichtig, nimmt weiter zu, wir sanieren und erneuern Wege und planen Schnellstrecken für Pendler. Aber das Fahrrad wird nicht den leistungsstarken Nahverkehr ersetzen, dafür sind die Wege aus Spandau in die Innenstadt zu weit.
Werden auch im Industriekiez gegenüber dem Vivantes-Krankenhaus Wohnungen entstehen?
In den alten Alexander-Barracks wäre Platz für 2000 Wohnungen, also 4000 Menschen. Sollen die auch noch in die BVG-Busse steigen? Wohnungsbau im größeren Stile haben wir dort nicht mehr geplant. Wir prüfen die Erweiterung des Vivantes-Klinikums für Forschung und Ausbildung. 2019 liegt diese Machbarkeitsstudie vor. Mir ist aber auch wichtig, dass die Schlosser dort nicht einfach so verdrängt werden – Handwerker gehören auch zur Infrastruktur eines Bezirks.
Vieles fokussiert sich beim Nahverkehr auf Siemensstadt und die Wasserstadt. Welcher Ortsteil wird vergessen?
Die bezirkliche Politik vergisst keinen Ortsteil.
Die S-Bahnstrecke nach Staaken ist aber gefühlt wieder ganz weit.
Ich bin Staakener, und das Thema Bahnausbau ist auf der Agenda 2030. Staaken geht aber nicht unter, denn Staaken hat zwei Regionalbahnhöfe – da geht es schnell in die Innenstadt. Fragen Sie mal die Leute im Kiez Heerstraße Nord, im Falkenhagener Feld oder im Spandauer Süden. Dort hat der Senat überhaupt keine Idee.
Ihre für Kladow und Gatow?
Ich antworte als CDU-Politiker.
Dann kommt jetzt die berühmte Brücke bei Hohengatow über die Havel.
Wir haben viele weitere Vorschläge unterbreitet.
Welche finden Sie am besten?
Ich finde die CDU-Idee eines Mobility-Hubs spannend, ein Verkehrsknotenpunkt auf dem alten Militärgelände der Briten neben dem BVG-Omnibusbahnhof. Dort könnten Schnellbusse aus Kladow und Staaken enden, dort könnten die Leute in die U-Bahnlinie U7 umsteigen, die wir dorthin vom Rathaus verlängern.
Wie steht es um das Straßennetz?
Ich habe Ihnen die Zahl mal zusammengerechnet. Der Investitionsstau allein in Spandau liegt bei 180 Millionen Euro. Kennen Sie die Straßen von West-Staaken?
Sandpisten, Schlaglöcher, kein Bürgersteig…
Genau. Und das ist der Zustand im Jahr 2019, bald 30 Jahre nach der Wende. Das sind Wohngebiete, die quasi nicht erschlossen sind. Das ist kein Zustand. Mit Kleinbaumaßnahmen – also Straße für Straße, hier mal Pflaster, dort mal Teer – kommen wir in Staaken-West nicht weiter. Wir wollen, dass das gesamte Viertel in den Investitionsplan des Landes aufgenommen wird. Dort ist das Projekt jetzt angemeldet. Es geht um sieben Millionen Euro, die der Senat aufbringen müsste. Unser Ziel: Baubeginn 2022.
Was ist aus dem Havelradweg geworden? Der sollte im Herbst gebaut werden, mit sechsmonatiger Umleitung in nur eine Richtung über 11 Kilometer – gab viel Ärger in Kladow und Gatow, die Baustelle wurde abgesagt.
Ich habe mich mehrfach mit Anwohnern getroffen. Der Ausbau ist vom Tisch. Das gesamte Projekt ist aus vielerlei Gründen schiefgelaufen. Ich kann den Unmut verstehen und muss sagen: Wir haben schlecht kommuniziert. Hauptursache war aber ein weiteres Mal die Verkehrslenkung Berlin, mit der eine verlässliche Zusammenarbeit inzwischen fast unmöglich ist. Wir prüfen jetzt, ob wir 2019 erst mal nur die Radwege auf der Straße markieren. Denn: Ab voraussichtlich 2023/2024 soll abschnittsweise eh mit der Erneuerung der Hauptstraßen, deren Unterbau inzwischen in einem schlimmen Zustand sind, begonnen werden – Gatower Straße, Kladower Damm, Ritterfeldamm, der komplette Süden, mit Radwegen und Bürgersteigen. Das wird Jahre dauern.
Gibt wieder Ärger.
Wir gehen da nicht ran, weil uns langweilig ist: Nein, es ist unsere Pflicht. Sonst müssen wir Straßen sperren. Der öffentliche Raum ist extrem interessengesteuert, keiner will nachgeben. Wir brauchen Platz für Radwege, Platz für Fußgänger, Platz für Autos, Platz für eine BVG-Busspur, Platz für Versickerungsmulden fürs Regenwasser, aber für all das darf kein Baum fallen …
Welches Projekt muss 2019 unbedingt beachtet werden?
Es geht endlich voran an der Geschützgießerei, ein alter Bau an der Mündung von der Spree in die Havel, mit Blick auf die Altstadt. Wir planen einen Stadtplatz mit Schiffsrestaurant, auch die Idee des Stresow-Uferwegs gibt es. Ich habe mit dem Investor gesprochen. In die Geschützgießerei soll auch Gastronomie ziehen.
Sie dachten an den Google-Campus.
Denke ich immer noch. Ist aber schwierig, als Stadtrat aus Spandau zum Google-Chef in Deutschland durchgestellt zu werden. Als besonderer Bürostandort würde die Gießerei funktionieren. Wir merken: Immer mehr Leute aus der teuren City suchen Büroflächen in Spandau, das war früher nicht so.
Und die Altstadt?
Da geht’s doch konkret los im Sommer, am Reformationsplatz. Wenn alles klappt, ist der Markplatz 2020/2021 dran. Wir sind bei solchen Projekten immer auch von der Planung der Wasserbetriebe und anderer Versorger abhängig.
Auf dem Markplatz soll der Brunnen verschwinden, die Treppen sollen weg und die Bäume auf die andere Seite.
Wir wollen das ganze Pflaster in der Altstadt erneuern. Das ist an vielen Stellen krumm und schief. Das ist 30 Jahre alt. Einfache Reparaturen sind unmöglich, denn die Pflastersteine wurden damals allen Ernstes in eine dicke Schicht Beton gelegt. Wenn sie da einen Stein austauschen wollen, müssen sie mit schwerem Gerät anrücken. Der Umbau wird hart, auch für die Händler, wir planen den Einsatz von Kümmerern. Aber der Markt könnte ein richtig schöner Stadtplatz werden, den wir so in Spandau nicht haben. Ein Ort für Kultur, für Konzerte. Und 2021 nehmen wir uns dann den großen Platz vor dem Rathaus vor. Hier läuft derzeit die Machbarkeitsstudie.
Das Interview haben wir dem Spandau-Newsletter des Tagesspiegel entnommen. Den Newsletter können Sie komplett und kostenlos bestellen unter leute.tagesspiegel.de